#25: Warum Gendern?

Die deutsche Grammatik kennt drei grammatikalische Geschlechter: männlich, weiblich, sächlich. So weit, so klar. Man könnte also annehmen, dass es dann ein logisches System bei der Anwendung der Geschlechter gibt. Ein Mann ist männlich, eine Frau weiblich, ein Ding sächlich.

Aber: „die“ Tür? Nun, im Griechischen – einer verwandten indoeuropäischen Sprache – ist „thyra“ auch weiblich, während das Lateinische mit der aus dem etruskischen stammenden „porta“ zwar zur Pforte führt, aber das wegen der fehlenden Verwandschaft nicht hilft. „Das“ Haus. Im Lateinischen ist „domus“ weiblich, im Griechischen „oikos“ männlich. „Der Mond“ ist nur im Deutschen männlich und „die Sonne“ weiblich, während fast überall sonst die Sonne (Helios, Sol, le soleil im Französischen, etc.) männlich und der Mond (Selene, Luna, la lune) weiblich ist. Flüsse sind männlich, wenn sie im Lateinischen männlich sind („der“ Rhein, „der“ Mississippi – obwohl die Römer nie da waren), aber wenn der germanische und slawische Einfluss zählt, wird aus „dem“ Albis „die“ Elbe. Hilft alles nicht.

Bei Personen wird es noch komplizierter, und schon Mark Twain („Die schreckliche Deutsche Sprache“) hat sich darüber aufgeregt, dass „das Mädchen“ sächlich sein soll. Will man sich wohl nicht eingestehen, dass Mädchen auch erwachsen werden?

Das grammatikalische Geschlecht hat also in der Regel nichts mit dem Benannten zu tun. Natur und Kultur sind zwei verschiedene Dinge.

Nun zu Berufsbezeichnungen: die neutrale Form scheint in der Regel die männliche zu sein: der Lehrer, die Lehrerin, im Plural die Lehrer (es sei denn, es sind nur Lehrerinnen). Nur bei Berufsbezeichnungen, die sowieso schon das biologische Geschlecht markieren wie bei den Krankenschwestern git dann die weibliche Form – da „Schwester“ schon weiblich ist.

Nun gut, dann ist ja alles klar. Grammatikalisches Geschlecht ist nicht das selbe wie biologisches oder natürliches Geschlecht. Aus grammatischer Sicht ist dann der Fall also abgeschlossen, oder?

Nun ja. Wie wir schon gesehen haben, fließen in die Sprache durchaus kulturelle Konzepte ein, die sich aber im Laufe des Sprach- und Kulturwandels ändern können. Was heißt dies für Berufs- oder Tätigkeitsbezeichnungen?

„Lehrer“ waren in der Vergangenheit meistens Männer und Krankenpfleger meistens Frauen (daher „Krankenschwester“). Weibliche Politiker gibt es auch erst seit kurzer Zeit in entsprechender Normalität. Dass Frauen studieren dürfen, war auch nicht gegeben.

Die kulturelle Norm (Arbeit und Bildung waren für Männer vorgesehen, Heim und Familie für die Frauen) spiegelt sich also ganz klar in der sprachlichen Norm wider.

Was heißt das? Die Debatte hat nichts mit Grammatik zu tun. Es geht um kulturellen und soziologischen Wandel, und spezifisch darum, diesen Wandel auch sprachlich wiederzugeben.

Das ist im Deutschen zugegebenerweise nicht ganz einfach. Alle vorgeschlagenen und praktizieren Lösungen sind mehr oder wenig ungelenk. „Lehrerinnen und Lehrer“ ist noch die am ehesten konforme, aber durch die Länge sperrig; „Lehrende“ benutzt ein Partizip Präsens, das eine im konkreten soeben stattfindende Tätigkeit beschreibt (ist ein Lehrender auch noch nach Dienstschluss ein Lehrender?); LehrerInnen (mit „glottal stop“ vor dem „In“) ist eine neue Konstruktion, und Lehrer*innen durch das Sternchen auch gewöhnungsbedürftig. Man kann durchaus zugeben, dass die neureren Schreibweisen das gewohnte Sprachbild verändern.

Allerdings gilt das aber nicht für „Lehrerinnen und Lehrer“ – dies ist schon immer eine „gegenderte“ Form, die komplett sprachlich konform ist.

Was also tun?

Die linksgerichtete Zeitung „The Guardian“ gendert, indem alle weiblichen Formen wie „actress“ (Schauspielerin) durch „actor“ (Schauspieler) ersetzt werden. Dadurch soll klargestellt werden, dass das (angenommene) biologische Geschlecht nichts mit der ausgeübten Tätigkeit zu tun haben muss. Das kann durchaus sinnvoll sein, allerdings normalisiert es wieder die männliche grammatikalische Form.

Die eigentliche Frage ist aber doch die: Werden diese männlichen grammatikalischen Formen auch kulturell als männlich gelesen? Wenn man „Lehrer“ hört oder liest, denkt man dann „männlich“ oder „weiblich“? Und zweitens, ist unsere Kulturpraxis eine, die nach wie vor Männlichkeit im Berufsleben als normal annimmt?

Ich würde beide Fragen vorsichtig mit „ja“ beantworten. Frauen werden trotz allen Fortschritts noch immer benachteiligt oder an strengeren Maßstäben gemessen. Jede weibliche Politikerin wird härter bewertet als männliche Politiker. Sexismus ist real – und sobald Quoten und andere Mechanismen wegfallen, „maskulinisiert“ sich die Gesellschaft oft sehr schnell.

Kann man mit Sprachwandel einen Kultur- und Geisteswandel erzeugen? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Ich bin da eher skeptisch, aber dennoch der Meinung, dass man es durchaus probieren sollte. Warum sollte man nicht sprachlich daran erinnern, dass wir Gleichberechtigung brauchen?

Wenn man sprachlich Geschlechtergerechtigkeit einfordern kann, ist dies sicherlich nicht schädlich, im Gegenteil. Aber vielleicht ist die Kritik am „Gendern“ ja auch ein Zeichen dafür, dass stereotypische Geschlechterbilder nach wie vor also normal gelten. Dies hieße für mich aber dann ganz klar: Gerade deshalb ist gendergerechte Sprache notwendig.