#17: Sahra Wagenknecht, die Linke und Putin

Es ist ja nicht so, dass Sahra Wagenknecht dumm ist. Sie hat immer wieder gezeigt, dass sie die scharfzüngige Analyse beherrscht, und vor allem, dass sie in der Partei Die Linke (ehemals SED) einige der wenigen ist, die konsequent tatsächlich für linke Politik steht – wenn man darunter ein Bekenntnis zum Verteidigen der Stimmen der Unterrepräsentierten, Unterdrückten und Benachteiligten versteht, sowie dem Bemühen, die Gesellschaftsverhältnisse „gerechter“ zu machen im Sinne der Befähigung der Unterdrückten, sich aus ihrer Unterdrückung zu befreien.

Umso verstörender sind daher Wagenknechts Äußerungen zur Ukraine und Russland, die sich leider auch bei anderen ihrer Parteigenossen wiederfinden (wie auch in Teilen anderer Parteien und von „unpolitischen“ Mitbürgern).

Das Schema ist klar: Irgendwie fühlte sich Russland bedroht, vielleicht sogar zurecht, und Schuld an diesem Bedrohungsszenario sind „der“ Westen, insbesondere die NATO und „die“ Amerikaner, die nämlich alle eigene Interessen in der Ukraine hätten – und wegen der Existenz dieser Interessen sind die gewalttätigen Interessen Russlands und Putins irgendwie gleich viel wert, und man muss sich irgendwie zum Kompromiss wiederfinden. Im Übrigen ist Russland eine Atommacht, also am besten ergeben wir uns – und ergeben wir die Ukraine – dem russischen Schicksal.

Nun wurde die Natomitgliedschaft der Ukraine 2008 abgesagt, hatten sich Russland, die USA und Großbritannien im Budapest-Memorandum zum Schutz der territorialen Integrität Ukraine (nachdem sie ihre Atomwaffen abgegeben hatte!) 1994 verpflichtet, ist die Ukraine ein eigenständiges Land und kann sich ihr Bündnis selbst aussuchen, außerdem entzündete sich Russlands Gewalttätigkeit 2014 nach dem Bekenntnis der Ukraine zur EU (nicht zur NATO!) und ist die NATO ein Verteidigungsbündnis. Die sogenannte NATO-Verteidigung ist übrigens en detail so durchgeführt worden, dass gerade nicht eine ständige riesige Truppenpräsenz an der Grenze Russlands aufgestellt wurde, sondern sehr wohl auf paranoide russische Bedürfnisse eingegangen wurde.

Und selbst wenn sich Russland bedroht fühlen sollte (wozu es kein Recht hat, und was wohl eher ein bewusstes verzerrendes Narrativ von Putin ist), rechtfertigte dies in keinem Fall, was Russland der Ukraine momentan antut:

  • Abtrennung von Gebieten (Krim, Donbass, Mariupol, Cherson, idealerweise noch mehr oder am besten alles)
  • Entführung und Deportation von Ukrainern nach Russland
  • Diebstahl
  • Kulturzerstörung
  • Bombenkrieg
  • Tötung von Zivilisten und Militär (auch das nicht legitim, da es sich um einen Angriffskrieg handelt!)
  • Vergewaltigungen
  • Folterung
  • Verneinung der Staatlichkeit
  • Verneinung der kulturellen Existenz der Ukrainer
  • Usw.

Es handelt sich dabei also um die versuchte Auslöschung aller Ukrainer und alles Ukrainischen – also um versuchten Völkermord – und wo diese möglich ist, wird er auch praktiziert.

Es hieß einmal „nie wieder.“ Denkt Frau Dr. Wagenknecht, denkt die Linke etwa, Russland wäre noch immer die Sowjetunion? Selbst das wäre schlimm – dabei handelte es sich ja ebenso um ein totalitäres faschistoides System. Eigentlich wollte die Linke ja sich zum „demokratischen Sozialismus“ hin wenden, was auch immer das sein soll. Geschenkt.

Vielleicht ist es viel einfacher: Die Linke leidet daran, dass ihre (falsche) Utopie – ob Sozialismus oder Kommunismus genannt – in der Praxis sich als rote Variante des Faschismus erwiesen hat, erwiesen musste, und dass die eigentliche linke Politik sich aufseiten der Sozialdemokratie, der Grünen, und selbst Teilen der Christdemokratie wiederfindet. Utopien sind immer totalitär – sie sollten nie praktiziert werden. Man kann versuchen, ihnen näherzukommen, aber darf sie nie erreichen wollen – denn dann, in der perfekten Gesellschaft, dürfte man die Perfektion ja nicht mehr kritisieren. Schon Plato hatte dies erkannt: Wer wollte schon das Gute an sich kritisieren wollen? Streben nach Utopia, gerne, sie erreichen, niemals.

Russland – ob unter Putin oder den Sowjets – war schon immer Projektionsfläche, ob für links oder rechts. Und da sich die Partei „Die Linke“ in ihrer Ablehnung der westlichen Demokratie, des „Kapitalismus“, der individuellen Freiheit und insbesondere Amerikas und der NATO (die ja immerhin dafür gesorgt hatte, dass dem Sowjetsystem Einhalt geboten wurde) es sich gemütlich, wenn nicht sogar schon fast religiös eingerichtet hat, muss halt jede „Alternative“ zum „Westen“ im Prinzip legitim sein. Wenn also die NATO (also DAS Verteidigungsbündnis der Demokratie) die Ukraine unterstützen will, muss man verstehen, dass Russland sich so provoziert fühlen darf, zu reagieren – um was eigentlich zu tun? Und wenn die USA sich der Ausbreitung der Chinesischen Diktatur in den Salomonen entgegenstellen, was ist daran eigentlich so falsch?

Hier verirrt sich die ansonsten der Kritik und dem Denken verpflichtete Frau Dr. Wagenknecht – leider. Ihre Werte finden sich nicht in Russland, nicht in China, nicht in der Sowjetunion repräsentiert – sehr wohl aber in der demokratischen Ukraine, im demokratischen Westen, in den USA, in der Bundesrepublik. Das weiß sie leider sehr genau. Irgendwann heißt Kritik übrigens auch, Farbe zu bekennen. Entweder, oder. So schwer ist das eigentlich nicht.