#18: Gedanken zum Tempolimit

Ich fahre durchaus gerne schnell Auto. Gelegentlich mit über 200 km/h die Autobahn zu genießen macht mit dem richtigen Wagen durchaus Spaß – auch, oder gerade weil es möglicherweise höchst unvernünftig ist. Es ist ja insbesondere die Grenzüberschreitung, die gezielte Unvernunft, welche im richtigen Moment durchaus Befriedigung verschaffen mag – abgesehen davon, dass es manchmal einfach nötig sein kann, viele Kilometer schnell hinter sich zu bringen.

Nichts desto trotz wäre ein allgemeines Tempolimit (130) auf deutschen Autobahnen nötig. Warum?

Man kann ja durchaus freiwillig langsam fahren, doch dann steht man vor dem Problem, dass man doch in der Regel schneller ist als LKWs und also immer mal wieder aus der rechten Spur ausscheren muss, das ist dann meist die Mittel- oder Überholspur. Jeder Versuch allerdings, dies mit 120 oder 130 zu tun wird meist nach wenigen Sekunden dazu führen, einen mehr oder weniger ungehaltenen, drängelnden, lichthupenden oder dicht auffahrenden anderen Wagen hinter sich zu wissen. Das kann man gerne aushalten, strapaziert aber letzten Endes nicht nur die eigene Geduld sondern provoziert auch die anderen Teilnehmenden im Verkehr. Sich dann eher bei 140-160 einzupendeln löst das Problem zwar nicht völlig, aber begrenzt es doch ungemein.

Die Autobahn erfordert durch dieses Spiel mit den Geschwindigkeiten durchaus die Aufmerksamkeit, da man nicht nur voraus- sondern auch wesentlich stärker rückschauend fahren muss. In diesem fahrenden Schachspiel mit verschiedenen Geschwindigkeiten müssen die Mitspielenden vorausberechnet werden, mögliche Ausweichmanöver bedacht, Rasende, Schleichende und Geschwindigkeitsbeschränkungen stets einberechnet und bedacht werden. Schilder wie Begrenzungen „bei Regen“ beachten die meisten sowieso nur bedingt, Blitzer sind meist bekannt und führen zu Störungen im Fahrfluss, und dann gibt es noch die, welche störrisch ca. 100-120 km/h fahren, egal was vorgeschrieben ist, man sich in einer Baustelle befindet oder was auch immer. Höfliches Ausscheren aus der rechten Spur vor Auffahrten – um auffahrendem Verkehr entgegenzukommen – verbietet sich meist aus Selbstschutz.

Nun lebe ich seit einiger Zeit in Oregon und habe mich geschwindigkeitsmäßig zurückhalten müssen. 65 mph (Meilen pro Stunde) auf Autobahnen (Freeways) und 55 auf Landstraßen (Highways) übersetzen sich – und man muss schon fast dankbar sein über die andere Maßeinheit, da es einem sonst noch mehr auffallen würde – in 105 bzw. 55 km/h. Gelegentlich sind mal 70 mph (113 km/h) oder sogar utopische 75 mph (121 km/h) drin. Obwohl die meisten ca. 5-10 mph (8-16 km/h) schneller fahren als erlaubt, sind das also Kategorien, die mit Deutschland nicht vergleichbar sind. Trucks sollten in der Regel 55 mph fahren, da hält sich aber keiner dran.

Wozu führt das ganze? In Oregon scheinen alle Autofahrer wie auf Beruhigungsmitteln zu fahren, selbst in Portland, der einzigen etwas größeren Stadt. Doch selbst im Rest des Landes geht es eher gemächlich zu, und das, was Amerikaner als stressig empfinden (Kalifornien oder New York) kann keinen europäischen Autofahrer schockieren.

Sicher muss man auch in den USA die Rückspiegel benutzen, aber das bewegte Schachspiel ist hier doch ein wesentlich gemächlicheres. Links überholen, rechts überholen, kein Problem – auch nicht auf 6-streifig ausgebauten (also insgesamt 12 Spuren) Freeways in Kalifornien. Rasende gibt es schon mal, aber in völlig anderen Größenordnungen. Fährt man statt 65 mal 70, will einen vielleicht jemand mit 75 überholen – das erzeugt nun bei keiner Seite einen Herzinfarkt.

Was erzeugt dies im Gesamtbild?

Eine Stunde auf der deutschen Autobahn scheinen, was den Stress betrifft, ungefähr 3-5 Stunden auf dem Freeway zu bedeuten. Wenn man erst einmal akzeptiert, dass es halt nicht schneller geht, wird das Fahren nicht mehr zu einer nervtötenden Herausforderung, sondern einfach zu einer Fortbewegungsmethode.

Nun könnte man annehmen, naja, in den USA kann man sich dann halt die imposante Landschaft anschauen, das gilt aber nicht überall. Auch hier gibt es nervtötend langweilige Strecken: Kalifornien I-5 ca. von Red Bluff, nördlich von Sacramento, bis Grapevine, „kurz“ vor dem Gorman Pass, der einen nach L.A führt – das sind immerhin drögeste 6-7 Stunden. DC bis New Jersey ist auch nicht gerade faszinierend, und selbst die I-90 von Chicago bis Rapid City South Dakota (immerhin ca. 13 Stunden) enthält eigentlich nur einen spannenden Moment (Brücke über den Missouri bei Oacoma). Da ist selbst die A2 zwischen Berlin und Hannover (3 Stunden) interessanter.

Der dadurch gemächlichere Verkehrsfluss wird dadurch berechenbarer, und es ist nur der leider allzu oft fehlende öffentliche Nahverkehr, der den Straßenverkehr entlasten könnte, der in Metropolen oder gelegentlich bei Baustellen (auf denen aber in den USA auch tatsächlich Tag und Nacht gebaut wird) auftretende Stau wird auch tageszeitbedingt berechenbarer – die ständigen Autobahn-Staus, die durch plötzliches Bremsen „wie aus dem Nichts“ entstehen, sind bei diesem langsameren Verkehrsfluss viel seltener, so scheint es zumindest.

Geringere Geschwindigkeiten bedeuten also weniger Stress, für alle Beteiligten. Das heißt nun nicht, dass Amerikaner weniger gestresst wären als Deutsche, nur sagt hier so gut wie keiner, dass Geschwindigkeitsbeschränkungen Einschränkungen der Freiheit wären – und da hört es ja bekannterweise in den USA mit dem Verständnis auf – hier übersetzt sich automobile Unvernunft eher darin, allzu überdimensionierte Wagen zu fahren, hohe Geschwindigkeiten werden nur auf der mythisch überhöhten „German Autobahn“ erwartet.

Wenn nun selbst die freiheitsbetonten Amerikaner („links“ übrigens genauso wie „rechts“, nur halt mit anderen Akzenten) ein Tempolimit akzeptieren, warum sollte dies in Deutschland nicht gehen?

In Deutschland kämen neben diesen Argumenten, die in den USA allerdings wegen der Tendenz zu größeren Autos (und Trucks) nicht so sehr zählen, auch noch andere hinzu, die für ein Tempolimit sprächen: geringere Geschwindigkeit heißt geringerer Verbrauch, woraus dann auch folgen könnte, dass in aller Konsequenz höchstleistungsfähige Quasi-Rennwagen auf Autobahnen nicht mehr so notwendig sein würden. Die gesamte Autoindustrie könnte sich auf geringeren Verbrauch konzentrieren, ob nun Benzin, Diesel, Autogas, Wasserstoff oder Elektro.

Manchmal muss die Unvernunft auch ein Ende haben – vor allem, wenn es weniger Stress, geringeren Verbrauch und damit geringere Kosten für Portemonnaie und Umwelt bedeuten würde. Vielleicht kann man ja zumindest ein paar Strecken als „Rennstrecke“ designieren – so dass man gelegentlich dann auch mal etwas mehr Auslauf bekommt…