
Michail Gorbatschow war einer der größten Politiker aller Zeiten. Ohne ihn wäre die Welt heute weniger frei, mehr als 500 Millionen Menschen würden immer noch in Angst vor einem bösartigen System leben, das sie auf der ganzen Welt auch weiterhin versklaven und terrorisieren würde. Das heißt natürlich nicht, dass ihm alles gelang, was er sich vorgenommen hatte, im Gegenteil. Zum Teil sind es seine Fehler, für welche die Welt ihm zu Dank verpflichtet sein muss.
Gorbatschow glaubte, dass der Sozialismus besser werden könnte, wenn er reformiert würde. Zur Klarstellung: Nach der sowjetischen Doktrin ist „Sozialismus“ das Wort für die Umsetzung von Ideen von Marx, Engels, Lenin, Stalin (und in China Mao) in der realen Welt, während der Kommunismus das utopische Ideal sein würde, sobald die Weltrevolution gelungen wäre. Der Sozialismus ist die Übergangsform zum Kommunismus. Was „Sozialisten“ im Westen typischerweise „Sozialismus“ nennen, ist tendenziell eine Variante der Sozialdemokratie (während „Demokratischer Sozialismus“ dazu neigt, sich in Richtung zum radikaleren Sozialismus zu bewegen).
Der Glaube, dass eine solche Reform möglich sei, veranlasste Gorbatschow, ein großes Experiment durchzuführen: die Förderung von перестройка ( Perestroika / Umstrukturierung) und гласность (Glasnost , Offenheit, Transparenz). Diese beiden Schritte waren für die Reform des Sowjetsystems absolut notwendig, und für einige Jahre wurde die Sowjetunion zu einer wirklich revolutionären Kraft, deren Ideen als zu radikal und demokratisch für Länder wie Ostdeutschland, in denen ich aufgewachsen bin, angesehen wurden. Ich erinnere mich daran, dass sowjetische Zeitschriften wie Sputnik (das russische Reader’s Digest, im Grunde) verboten wurden, da sie die sozialistische Orthodoxie herausforderten. Leider ist Sputnik heute ein reaktionärer Putin-Propaganda-Kanal. Doch diese Umstrukturierung offenbarte eine Kernerkenntnis, die Gorbatschow – ungewollt – deutlich werden ließ: Sozialismus funktioniert nicht ohne Lüge und Diktatur. Sobald Perestroika und Glasnost eingeführt waren, wurden die Lügen aufgedeckt, die bösartige Natur des Systems wurde deutlich und der Vorstoß von wahrhaft revolutionären Organisationen wie der polnischen Gewerkschaft Solidarność (Solidarität) durften Erfolg haben. In ganz Russland verdrängten demokratische Reformbewegungen den Sozialismus. Die Schreckensherrschaft endete. Von der Sowjetunion unterstützte Diktaturen auf der ganzen Welt verloren ihren Sponsor des Terrors, und der Kalte Krieg wurde gewonnen, indem der Wert von Demokratie und Freiheit gegenüber Diktatur und Unfreiheit bewiesen wurde. Gorbatschows glorreicher Fehler hat gezeigt, dass der Sozialismus nicht erfolgreich sein kann.
Als Gorbatschow im Oktober 1989 die DDR zu ihrem 40. (und schließlich letztem) Geburtstag besuchte, landete er am Flughafen Berlin-Schönefeld. Meine Mitschüler und ich waren zum Zuwinken abgestellt. Keiner winkte, als Honeckers Wagen passierte – alle wollten nur „Gorbi“ sehen und ihm zujubeln. „Wer zu spät kommt, den bestraft die Geschichte,“ soll er gesagt hatten. Anders als seine Vorgänger würde er keine sowjetischen Panzer schicken, als sich die Menschen in Ostdeutschland, Polen, der Tschechoslowakei, Rumänien und allen anderen Staaten im Gefängnis der Nationen erhoben. Die DDR wurde bestraft, und wir wurden endlich befreit.
Leider waren die einzigen Orte, an denen diese Lektion keine Wurzeln schlagen konnte Russland, Weißrussland, Zentralasien und bis vor kurzem die Ukraine. Gorbatschow war auch weniger freundlich zu Sowjetrepubliken innerhalb der UdSSR. Jelzin, der damalige Präsident der Russischen Föderation, arbeitete an der Zerschlagung der Sowjetunion und beendete damit das Experiment vorzeitig. Jelzin war eine absolute Katastrophe. Es gelang ihm nicht, demokratische Reformen nachhaltig zu gestalten, und unter seinem auserwählten Nachfolger Putin verschlechterte sich die Lage weiter. Gorbatschow repräsentierte Modernität und Vorwärtsdenken, während Putin Tradition und Rückständigkeit verfolgte.
Gorbatschow wurde von Putin ständig dämonisiert, aber die Schuld für die Lage in Russland und der postsowjetischen Welt liegt bei Jelzin und Putin und den von ihnen repräsentierten Kriminellen, nicht bei Gorbatschow. Wo Putin klein denkt – indem er versucht, alte Ideen wiederzubeleben und Russland in die Vergangenheit zurückzutreiben – dachte Gorbatschow groß und zielte auf die Zukunft, um die Hoffnung und das Streben nach einer humaneren Regierung auf der ganzen Welt neu zu entfachen.
Er war nicht perfekt – wie niemand es jemals ist – und er glaubte sicherlich an den reformierbaren Sozialismus, aber ohne ihn hätten Millionen von Menschen niemals Demokratie und Freiheit kennengelernt. Er und seine Frau Raisa werden schmerzlich vermisst.