#23: Wer mit Extremisten demonstriert: Die neue Querfront aus Querdenken und Putinbeschwichtigern

Kann man kontrollieren, wenn man auf Demonstrationen Beifall von der falschen Seite bekommt? Die falschen Leute mitmachen und mitlaufen? Schließlich gibt es doch Versammlungsfreiheit – sollte man da nicht tolerant sein?

Natürlich kann man das. Natürlich ist das legal, und es sollte auch sein. Natürlich ist Toleranz immer gut.

Das Problem ist nur: Wenn sich die eigenen Argumente mit denen von Extremisten decken, wenn man Beifall bekommt weil die Inhalte sich gleichen, dann sollte man zumindest anfangen, nachzudenken statt „quer“zudenken. (Nicht im Sinne von quer=queer, sondern im anmaßenden Sinne der verschwörungsbesessenen „Querdenker.“)

Und hier zeigt sich dann, wes Geistes Kind man ist.

Wo sind also die Argumente der neuen Querfront aus Querdenken und Putinbeschwichtigern? Eine Auswahl:

  • „Deutschland ist quasi von Amerika besetzt / kontrolliert / manipuliert / abhängig.“ Das ist natürlich Unsinn. Wenn es so wäre, gäbe es keine Diskussion um das 2%-Ziel der Nato, die Weigerung Schröders, sich am Irakkrieg zu beteiligen, das jahrelange störrische Beharren auf den Europa- und Ukrainefeindlichen North Stream Piplines, die grundlegende Skepsis in den USA und Osteuropa bezüglich deutscher und französischer Außenpolitik usw. usf. Deutschland hat es sich selbst bequem gemacht und seine Verteidigung an die NATO ausgelagert, um sich seinen Sozialstaat leisten zu können, hat jahrzehtelang den Ausbau erneuerbarer und diversifizierter Energiequellen verpatzt, und fällt damit nun zurück auf den Boden der Tatsachen. Und wer meint, dass die Amerikaner irgendwie Deutschland geschadet hätten: Die Amerikaner haben uns von den Nazis und schließlich auch den Kommunisten befreit, dabei auch der Sowjetunion im Kampf gegen Hitler genauso geholfen wie jetzt der Ukraine gegen Putin.
  • „Kriege enden immer mit Verhandlungen.“ Mit Hitler konnte nicht verhandelt werden, ebenso wenig mit Stalin (den man leider gegen Hitler unterstützen musste, trotz ursprünglichem Hitler-Stalin-Pakt), Saddam (kompliziertes Thema, was aber Saddam nicht besser macht), und anderen Angreifern. Manchmal müssen Agressoren besiegt werden, leider.
  • „Die NATO hat Russland provoziert.“ Nein, hat sie nicht, selbst Putin fand die NATO-Osterweiterung ursprünglich gut. Russland wurde angeboten, sich für die NATO-Mitgliedschaft zu bewerben, hat aber eine Sonderbehandlung gefordert, die es nicht bekommen konnte. Die NATO hatte auch absichtlich keine größeren Truppenkontingente an der russischen Grenze stationiert – dadurch erklärt sich zum Teil auch die zögerliche Hilfe für die Ukraine – erst musste man die eigene Verteidigung aufbauen. Die ost- und mitteleuropäischen Staaten hatten das Recht und die Notwendigkeit, in die NATO einzutreten – und wären Georgien und die Ukraine in der NATO gewesen, hätte Putin sie auch nicht angegriffen. Die Besetzung von Territorien in Moldau, Ukraine und Georgien diente Putin vor allem dazu, deren Mitgliedschaft in der NATO zu verhindern, um sie wenn gewünscht kontrollieren zu können.
  • „Bürgerkrieg im Donbass.“ Gab es nicht – es gab eine russische Zersetzungskampagne, dann eine Invasion, und den Krieg gegen die Ukraine. Alles bewiesen.
  • „Die Krim ist russisch.“ Nein, ist sie nicht. War sie vielleicht mal, vor 1954. Davor hatte Stalin die ansässige Bevölkerung zwangsumgesiedelt oder getötet. Macht Putin auch jetzt wieder. Im übrigen war Königsberg auch mal deutsch, Weißrussland und Teile der Ukraine polnisch, die Mandschurei chinesisch, Visby schwedisch, Karelien finnisch, die Krim tatarisch, osmanisch, gotisch, griechisch, skythisch, griechisch, Sotschi tscherkessisch, Sibirien Stammesgebiet, Sachalin japanisch und chinesisch, das Gebiet um St. Petersburg schwedisch, Novgorod demokratisch, usw. Wenn schon, denn schon. Lasst die Geschichte ruhen – das ist eigentlich heutzutage Konsens.
  • „Ukrainische Nazis / Banderisten.“ Die Bandera-Geschichte ist kompliziert, und resultiert daraus, dass die Ukranische Freiheitsbewegung zunächst durch die Sowjetunion gefährdet war. Daraus ergaben sich gewisse Sympathien für Nazideutschland – so ist das leider, wenn man zwischen zwei völkermordenden Imperien engezwängt ist. Da in Russland (und leider auch in Teilen des Westens inklusive Ostdeutschland) das Geschichtsverständnis darunter leidet, dass die menschenverachtende Geschichte der Sowjetunion nie wirklich aufgearbeitet wurde, wird das auch immer bewußt falsch verstanden. Das rechtfertigt natürlich keine Verbrechen der Bandera-Anhänger im 2. Weltkrieg, ist aber auch lange her. Turnvater Jahn und die preußischen Reformer waren auch keine angenehmen Gestalten und definierten sich oft anti-französisch und anti-semitisch. Es gibt keine perfekten Helden. Das Asow-Bataillion hatte mal Nazis, aber schon seit vielen Jahren nicht mehr. Die rechtsextremistischen Parteien in der Ukraine haben weniger Prozentanteile als die in Deutschland, als die AfD sowieso, und als Putins rechtsextremes „Einiges Russland.“ Wenn es Faschisten, Nazis oder Rechtsextreme gibt, dann in Putins Russland, und er hat ja selber ein quasi-faschistisches System in Russland eingeführt (Führerkult, Kirche im Dienst des Staates, Industrie unter seiner Kontrolle, Mafiastaat, Hypernationalismus, expansiv, das Individuum zählt nichts, kriegsverherrlichend, römisch/byzantinisch (siehe Wiederherstellung des Doppeladlers), gewaltverherrlichend, hyper-maskulin, cis-normativ, antimodern, antidemokratisch, etc.)
  • „Gender gaga.“ Antifeminismis und anti-LGBTQ (insbesondere transfeindlich) sind bei den Neurechten Glaubensgrundsatz.
  • „Woke-Extremismus.“ „Woke“ zu sein heißt gegen Rassismus und Diskriminerung zu sein. Anti-woke heißt dann was bitte? Genau.
  • „Plandemie / Corona-verschwörung / Impfungen gefährlich etc.“ Anti-wissenschaftliche, menschenverachtende, verschwörungsbesessene Ablehnung der Realität, die es ablehnt, andere (insbesondere alte und gefährdete) Menschen durch Maskenbenutzung zu schützen, die Pandemie durch Ablehnung der Impfungen verlängert, antisemitische Stereotype bedient, usw. All dies bedient nationalsozialistische Narrative der Diffamierung von Medizinisch als „jüdisch“ (daher der Begriff „Schul“medizin, von jiddisch „Schul“/ שול – Schule, Synagoge) und der Proklamierung sogenannter „Alternativ“medizin, der Betonung von „Selbstheilungskräften“ und Esoterik, allesamt in der „Germanischen Medizin“ und der Nazi-Philosophie sehr solide verhaftet. Das mag zwar nicht allen bewußt sein – es ist aber Teil der neuen und alten rechtsextremen und deutschnationalen Bewegung (siehe auch Steiner, Anthrosophie, Anastasia-Bewegung, etc.).
  • „Altparteien / Systemparteien“ / Ablehnung und Diffamierung des demokratischen Systems oder seiner demokratischen Politiker. Mehr oder weniger lose Anbiederung zu extremistischen Positionen der Querfront zwischen der extremen Linken und Rechten, verbunden mit der Delegitimierung des „Systems“, mit gelegentlichen Verbindungen zu den Reichsbürgerbewegungen.
  • „Globalisten.“ Ablehung einer wertebasierten, kosmopolitischen und institutionaliserten Weltgemeinschaft und ihrer Institutionen zugunsten einer deutschnationalen Politik im Einklang mit Russland.
  • „Klimawandel gibt es nicht.“ Wahlpflicht, muss nicht immer dabei sein, kann auch durch Verschwörungserzählungen („Chemtrails“) ersetzt werden.
  • „Man muss Putin entgegenkommen.“ Wer ist „man“? Die Ukraine wird seit 2014 angegriffen, sie hat sich seit Jahrzehnten versucht zu demokratisieren und aus dem russischen Zwangssystem zu emanzipieren, und hat das Recht, seine völkerrechtlich (auch von Russland) garantierten Grenzen einzufordern. Wer gibt einem Verbrecher nach? Vor allem, wer fordert ein Opfer, sich zu ergeben? Abscheulich, egoistisch, grotesk. Sicher, alle haben Angst vor der Atombombe. Aber rechtfertigt eine solche Angst die Aufgabe jeder Moral, jedes Anstands, jeder Menschlichkeit? Putin will den Krieg. Er will nachweislich nicht verhandeln. Als die Ukraine noch verhandlungsbereit war, verübten Putins Leute überall in den besetzten Gebieten (nicht nur in Butscha!) Massaker. Danach annektierte er die Gebiete. All das zeigt, dass er nicht verhandeln will. Also wie soll man ihm entgegenkommen? Warum will man die Ukraine – und die Ukrainer – diesem Schlächter ausliefern?

Diese Liste ist sicher nicht vollständig, aber doch sicher ausreichend.

Natürlich hat jeder ein Recht, sich mit solchen Leuten zusammenzutun. Dann muss man sich aber auch der Kritik aussetzen. Wenn es aussieht wie eine Ente, schwimmt wie eine Ente und quakt wie eine Ente, dann ist es wahrscheinlich eine Ente. Wenn man mit Rechtsextremisten mitläuft, so redet und denkt, ist man vermutlich selbst einer. Nicht umsonst hat Björn (Bernd?) Höcke (der legal als Faschist bezeichnet werden darf) heute Wagenknecht die AfD-Mitgliedschaft angeboten. Wie man sich bettet, so liegt man.

Wehret den Anfängen. Denkt nach, nicht quer. Bitte.

Ceterum censeo Ucrainam esse defendam. Слава Україні!