#6: Verqueres Denken

Der Begriff “Querdenken” ist eigentlich eine selbstverständliche Beschreibung allen Denkens. Wenn man nicht gelegentlich „quer“ denkt, das heißt, gegen den Strom und die etablierte Meinung, dann denkt man eigentlich nicht, sondern wiederholt nur, was alle anderen auch denken. Somit ist alles Denken auch das Denken im Widerspruch. So muss es eigentlich auch sein, denn ansonsten hat alles Denken ja keinen Sinn: Wir denken, um die Realität zu begreifen, sich ihr zu stellen und Lösungen für Probleme zu entwickeln. Um die Realität zu verändern, muss man sie von allen verschiedenen Seiten betrachten können. Insofern sind Denkverbote niemals kompatibel mit der Vorstellung kritischen Denkens.

Dennoch ist nicht alles, was sich gegen eine etablierte Meinung stellt, erfolgreiches „Quer“-denken. Die Realität ist nicht immer kompliziert zu verstehen. Die Erde ist rund, dreht sich um die Sonne, und ist ungefähr 4.5 Milliarden Jahre alt. Dies alles basiert auf Messungen und bewiesenen Beobachtungen, mehrfach durchgeführt, trotz aller Versuche, dieses Wissen infrage zu stellen. Jede wissenschaftliche Erkenntnis ist das Resultat eines oftmals sehr harten Wettbewerbs um die Wahrheit. Das, was wissenschaftlich als erwiesen gilt, ist hart umkämpft worden und hat sich als wahr durchgesetzt.

„Die“ Wissenschaft ist eine Gemeinschaft von Wissenschaftlern in eben diesem Wettbewerb. Solange etwas nicht als Fakt – aufgrund gründlichen Untersuchungen – sicher feststeht, kann es natürlich infrage gestellt werden. Das passiert auch. Wissenschaftliche Erfolge setzen sich immer gegen andere Wissenschaftler durch, und es gibt nichts, das wirklich sakrosankt ist. Die Wissenschaftsgeschichte ist voll von modifizierten Erklärmodellen, Paradigmenwechseln, Irrungen und Wirrungen. Das ändert aber typischerweise nichts an der Realität. Newton hatte im Wesentlichen Recht mit seiner Entdeckung des Gravitationsgesetzes, auch wenn er noch nicht über die Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit nachgedacht hatte. Einsteins Erkenntnisse erweitern unsere Vorstellungen von der Realität, ändern aber nichts an der Gültigkeit der Newtonschen Gesetze auf der Erde. Planck setzte sich gegenüber Einstein durch bezüglich der Quantenmechanik, was aber an der Relativitätstheorie nichts ändert. Veränderungen unserer Erkenntnisse, Hypothesen und Theorien passieren oftmals an den Rändern, betreffen aber nicht so oft den Kern unseres Wissens.

Wenn tausende Wissenschaftler übereinstimmend davon ausgehen, dass der Klimawandel real ist, heißt das zwar nicht, dass wir keine Kritik an Details über dürfen – natürlich ist diese immer erlaubt – aber nicht jede gegenteilige Meinung ist auch automatisch ein gleichberechtigter Partner im Wettstreit der Ideen. Hinter jeder Lehrmeinung stehen Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte oder Jahrhunderte aktiver wissenschaftlicher Auseinandersetzung. Die Wahrscheinlichkeit, dass alternative Meinungen all dem etwas einfach entgegensetzen können – vor allem, wenn sie nicht von Experten stammen – ist höchstwahrscheinlich gering.

Wenn die überwältigende Mehrzahl aller Ärzte und Medizinwissenschaftler davon überzeugt sind, dass es eine tödliche Pandemie gibt, welche in allen Ländern der Erde drastische Konsequenzen hat, dann ist eine Gegenmeinung, die konstatiert, dass diese Pandemie nicht existiert, kein Fall von „Quer“-Denken, sondern von verquerem Pseudo-Denken. Wenn sich die Leitlinien zur Pandemiebekämpfung aus verschiedenen theoretischen und praktischen Gründen mit der Zeit ändern, liegt das an unserem Wissensgewinn mit fortschreitender Zeit, und es bringt nichts, sich zu wundern, warum sich z.B. Empfehlungen zum Tragen medizinischer Masken geändert haben.

Im übrigen liegt es nicht in der Natur des echten „Quer“-Denkens, wenn alle, die sich einer sogenannten „Queerdenker“-bewegung anschließen, das gleiche denken und sich dem kritischen Diskurs konsequent verweigern. Das ist kein Denken, sondern eine absurde Trotzreaktion, die jeder echten Reflexion der Dinge entgegensteht. Jedes Denken muss der Kritik unterzogen werden, insbesondere die Kritik als solche. Kritik muss sich aber an der Realität orientieren, und nicht am eigenen befangenen Unbehagen mit der Realität als solcher. Eine „Kritik“, die dies ausblendet, verdient es nicht, Kritik genannt zu werden. Schon gar nicht als Denken.

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